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Wenn wissenschaftliche Institutionen unethisches Verhalten von Wissenschaftler*innen zulassen, warum sollte die Öffentlichkeit dann der Wissenschaft vertrauen?

Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Institutionen müssen sich das Vertrauen der Öffentlichkeit durch die Einhaltung hoher ethischer Standards verdienen.   

 

Wissenschaftler*innen fordern die Öffentlichkeit oft auf, der Wissenschaft zu vertrauen, mit der Begründung, dass viele Annehmlichkeiten des modernen Lebens – von Medikamenten und Geräten bis hin zu Computern und Mobiltelefonen – durch Fortschritte in Wissenschaft und Technologie ermöglicht wurden [1]. Dies sind ansprechende Beispiele, aber was sagen sie über den zukünftigen Nutzen der Wissenschaft aus?

 

Wissenschaft ist mehr als die Summe ihrer Produkte; sie ist ein Prozess, der auf kritischer Rückkopplung und Überprüfung basiert und die Fähigkeit zur Selbstkorrektur besitzt [2, 3]. Wissenschaftler*innen fordern die Öffentlichkeit ausserdem auf, ihr Vertrauen nicht in einzelne Wissenschaftler*innen oder spezifische wissenschaftliche Ergebnisse zu setzen, sondern in einen wissenschaftlichen Prozess, der sich weiterentwickelt, wenn neue Erkenntnisse auftauchen und die Interpretation von Erkenntnissen angepasst wird [1, 3]. 

 

Damit dieses Argument überzeugend ist, müssen die Prozesse innerhalb des Wissenschaftsbetriebs, insbesondere des wissenschaftlichen Publizierens, vertrauenswürdig sein. Defizite in diesen Prozessen untergraben das Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb als Ganzes [4].

 

Wissenschaftliches Publizieren als wesentliches, aber anfälliges Bindeglied

 

Wissenschaftliche Zeitschriften spielen eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse [1-4]. Die Leistung einzelner Wissenschaftler*innen wird anhand ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen beurteilt und Institutionen verlassen sich bei der Beurteilung ihres wissenschaftlichen Personals auf Publikationsmetriken [5]. Da die Autor*innenschaft so wichtig ist, lohnt es sich, ein Beispiel für einen ethischen Verstoss zu betrachten. Obwohl dies nicht die schlimmste Art von ethischem Versagen ist, wurden kürzlich zwei Fälle an führenden Schweizer Institutionen gemeldet.

 

Unverdiente oder geschenkte Co-Autor*innenschaften

 

Ein Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz aus dem Jahr 2013 stellt klar, dass unverdiente oder geschenkte Koautor*innenschaften einen Verstoss gegen die wissenschaftliche Integrität darstellen. Der Bericht verbietet es «Kollegen, die nur marginal beteiligt sind, sich gegenseitig als Autoren in ihren Publikationen zu nennen oder einen hochrangigen Wissenschaftler, der nicht an der Forschung beteiligt war, in die Autorenzeile aufzunehmen» [6].

 

Dem Druck älterer Kollegen, Koautor*innenschaften für Schenkungen zu vergeben, widersetzten sich zwei talentierte, leistungsstarke Nachwuchsforscher*innen an herausragenden Schweizer Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Über einen Fall am Universitätsspital und an der Universität Zürich wurde in den Printmedien berichtet [7], und über einen Fall am Paul Scherrer Institut im ETH-Bereich wurde in den Printmedien berichtet [8] und sogar schon früher online [9]. Beide beteiligten Nachwuchsforscher*innen erhielten Fördermittel des Schweizerischen Nationalfonds. Der auf ihnen lastende Druck und die negativen Folgen für ihre Projekte und Karrieren stellen somit eine Verschwendung von Steuergeldern dar [10].

 

Instrumente zur Unterstützung der Politik

 

Schenkungs-Co-Autor*innenschaften sind nicht nur in der Schweiz ein Problem. Umfrageergebnisse haben gezeigt, dass das Problem in Europa weit verbreitet ist [11]. Trotz klarer Verbote auf politischer Ebene fehlen Instrumente zur Umsetzung politischer Massnahmen und der Wille zur Umsetzung politischer Massnahmen. Das Contributor Role Taxonomy (CRediT)-Modell [12], das bereits von zahlreichen wissenschaftlichen Verlagen übernommen wurde, könnte die Grundlage für ein solches Instrument bilden. Das CRediT-Modell könnte durch einige fachspezifische Standardisierungen gestärkt werden, einschliesslich der Schätzung proportionaler Beiträge von Co-Autor*innen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen könnten verlangen, dass Hauptautor*innen CRediT-Vorlagen für alle Manuskripte ausfüllen. Dies wäre sicherlich eine vernünftige Erwartung seitens der Schweizer Steuerzahlenden, die die Forschung so grosszügig unterstützen.      

 

Allgemeinere Themen ansprechen

 

Selbst wenn man sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen konzentriert, ist die Mitautor*innenschaft nur ein Beispiel für viel umfassendere Probleme. Viele dieser Probleme könnten angegangen werden, indem man Qualität vor Quantität stellt und anerkennt, dass die Bewertung von Qualität Anstrengungen erfordert [13]. Indikatoren (wie etwa der Impact Factor von Zeitschriften) sollten nicht als Ersatz für Qualität verwendet werden. Diese Empfehlungen sind zentrale Grundsätze der San Francisco Declaration on Research Assessment, DORA [14], die von allen Schweizer Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt werden sollte.

 

Das öffentliche Vertrauen in die Wissenschaft ist entscheidend für das Funktionieren der heutigen Gesellschaften, in denen viele Herausforderungen und Chancen komplexe wissenschaftliche und technische Fragen mit sich bringen. Wissenschaftler*innen und wissenschaftliche Institutionen müssen sich das öffentliche Vertrauen verdienen, indem sie unethisches Verhalten nicht tolerieren. 

 

        

Janet Hering ist emeritierte Direktorin der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag), emeritierte Professorin für Umweltbiogeochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) und emeritierte Professorin für Umweltchemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Sie ist ehemalige Vorsitzende des ETH Professorinnen Forums.

 

Referenzen und Quellen

 

[1] Albert, B. Hopkin, K. and Roberts, K. (no date) “Why Trust Science”, https://whytrustscience.org.uk/essay/ 

[2] ISC (2023) “The Case for Reform of Scientific Publishing”, https://council.science/publications/reform-of-scientific-publishing/ 

[3] Oreskes, N. (2019) “Science Isn’t Always Perfect—But We Should Still Trust It”, TIME Ideas, https://time.com/5709691/why-trust-science/ 

[4] Müller, M.J., Landsberg, B. and Ried, J. (2014) “Fraud in science: a plea for a new culture in research”, European Journal of Clinical Nutrition, 68: 411–415, doi:10.1038/ejcn.2014.17

[5] AGU Editorial Network (2024) “Challenges Facing Scientific Publishing in the Field of Earth & Space Sciences”, AGU Advances, https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2024AV001334 

[6] Hess, C.W., Brückner, C., Kaiser, T., Mauron, A., Wahli, U.J., and Salathé, M. (2013) “Authorship in scientific publications”, https://api.swiss-academies.ch/site/assets/files/4413/akademien_autorschaft_en.pdf 

[7] Demuth, Y. (2024) “Nachwuchs-Professorin schmeisst hin”, Beobachter, June 7, p. 24.

[8] Amrein, M. and Donzé, R. (2024) “Mit fremden Federn geschmückt: An einerbedeutenden ETH-Forschungsanstalt ist ein Streit um unerlaubte Autorschaft entbrannt”, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, July 21, p. 9

[9] Schneider, L. (2024) “The Paul Scherrer Rules”, For Better Science,  https://forbetterscience.com/2024/03/25/the-paul-scherrer-rules/

[10] Boivin, N., Hering, J. G., Täuber, S. and Keller, U. (2023) “How your money is helping subsidise sexism in academia – and what you can do about it”, The Conversation, https://theconversation.com/how-your-money-is-helping-subsidise-sexism-in-academia-and-what-you-can-do-about-it-218347

[11] Chawla, D.S. (2023) “Unearned authorship pervades science”, Nature Index, https://www.nature.com/articles/d41586-023-00016-1

[12] Contributor Role Taxonomy, https://credit.niso.org/

[13] Hering, J. (2019). “Counting is not enough - rediscovering the value of narrative”. Elephant in the Labhttps://doi.org/10.5281/zenodo.2562817

[14] Declaration on Research Assessment, https://sfdora.org/

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